Nach 2014 stand für 2016 wieder die markante Felsnadel Dent du Geant (4013m) im Mt. Blanc-Massiv auf unserem Plan. Damals mussten wir die sehr anspruchsvolle Besteigung schon am Einstieg wegen Sturms und Schneetreiben abbrechen und sind auf die dahinter liegende Aiguille de Rochefort (4001m) ausgewichen. Um auch unsere Jugend mit einzubinden, wurde das Programm kurzfristig um einige Gipfel im Monte Rosa Massiv erweitert. Am 11.08.2016 starteten Sebastian und Torsten gegen Abend von Karlstein Richtung Süden zum Gr. St. Bernhard (2469m), den wir noch kurz vor Mitternacht erreichten.
Nach einer frostigen Nacht im Auto auf dem Pass ging es am Freitag auf eine ausgedehnte Akklimatisationsrunde über den Klettersteig hinauf zum Grand Chenalette (2890m) und weiter über den Grat zur Pointe de Drone (2950m). Wir genehmigten uns noch einen Abstecher in das Tal der 3 Seen, zum kristallklaren Bergsee Lacs de Fenetre, bevor wir wieder zum Pass zurückkehrten.
Weiter ging es nun nach Breuil Cervinia (ca.2000m), wo wir gleich mit einem grandiosen Blick auf das Matterhorn begrüßt wurden. Nun galt es, sich auf diese Herausforderung erst mal fit zu machen. Abends wurden die Rucksäcke für unsere Vorbereitungs-Gletscher-Tour gepackt. Zu den 6 Liter Trinken im Rucksack gesellten sich dann noch Schlafsack, warme Klamotten, Pickel, Steigeisen, Helm, Seil, Karabiner, Proviant für 3 Tage und noch vieles mehr.
Mit der ersten Seilbahn fuhren wir am 13.08.2016 gegen 7:00Uhr hinauf ins Sommerskigebiet Plateau Rosa (3480m) unterhalb des kleinen Matterhorns. Noch im Schatten stiegen wir über die Skipiste hinauf, am Breithorn vorbei, wo sich schon viele Leute auf der einfachsten 4000er-Autobahn austobten. Weiter ging es einsam über die weiten Eisfelder nach Osten. Gegen 11:00 erreichten wir erschöpft das Rossi Biwak (3700m), eine Mini-Schutzhütte mit 10 Matratzenlagern inmitten einer Felswand. Von der kleinen Terrasse geht der Blick direkt rüber zu Pollux und Castor. Schnell sicherten wir uns 2 der heiß begehrten Schlafplätze. Die nächsten 2 Nächte waren somit gesichert. Mit leichtem Gepäck starteten wir nun noch hinauf zum Roccia Nera (4075m). Dabei kamen wir in der Mittagsglut im steilen Firnhang ganz schön ins Schwitzen. Der Gipfel bot uns eine grandiose Weitsicht über das gesamte Monte Rosa Gebiet. Wieder am Biwak angekommen, wurden kurze Zeit später alle verbliebenen freien Plätze von neu ankommenden Bergsteigern belegt. Am kleinen Tisch im Biwak wurde emsig Schnee getaut, gekocht, gefuttert und getrunken. Während die einen Sachen trockneten, packten die anderen schon wieder ihre Rücksäcke für den kommenden Tag. Bis spät in die Nacht hinein wurde in dem kleinen Biwak-Raum gewuselt, aber an Schlaf war wegen der Höhe eh nicht zu denken.
Am 14.08.2016 krochen alle bereits vor dem Morgengrauen aus den Schlafsäcken und bereiteten sich auf den nächsten Gipfelsturm vor. Mit Sebastian brach ich Richtung Castor auf. Bereits nach kurzer Zeit erreichten wir den steilen Firnhang, den wir dank guter Spur in schier endlosen Serpentinen sicher durchstiegen. Kurz unterhalb des Gipfelgrates überwunden wir dann mit Pickel und Seil den großen Bergschrund und die Folgende etwa 30m hohe steile Firnflanke zum Nordsporn des Castor. Nun ging es noch etwa 100m über den scharfen Firngrat immer oben auf der Kante entlang hinauf zum Castor (4228m). Das Panorama hier oben war einfach unbeschreiblich: Sonne, blauer Himmel, unter uns eine gewaltige Eiswüste. Nach kurzer Rast und einigen Gipfelfotos ging es wieder über den Grat und die Firnwand zurück zum Biwak.
Während ich mir am Nachmittag eine Ruhepause gönnte, eilte Sebastian noch einmal schnell zum Pollux hinüber und kraxelte durch eine Eisrinne hinauf zum Felsgrat. Nach einer kleinen Felswand gelangte er auf den Westsporn mit der Madonna und von dort weiter über den Firngrat hinauf bis zum Pollux (4092m). Inzwischen zogen dichte Wolken auf und leichter Schneefall setzte ein. Dennoch konnte ich seine Besteigung gut vom Biwak aus verfolgen. Nun war Eile geboten, zügig ging es wieder runter auf den Gletscher und zurück ins sichere Biwak. Die Nacht über zogen heftige Gewitter mit Graupel vorüber und wieder war kaum an Schlaf zu denken.
Am nächsten Morgen überraschte uns wieder sonniges Wetter, nur dass nun die Gletscher mit einer neuen dünnen weißen Schneedecke überzogen waren. Mit vollem Gepäck ging es zurück Richtung Breithorn. Auf dem Plateau unterhalb der Gipfel setzten wir unsere Rucksäcke ab, stiegen zuerst auf das Breithorn (Zentrale) (4159m) und danach überschritten wir noch das Breithorn (West) (4165m). Inzwischen zogen lange Bergsteigergruppen wie Perlenschnüre aneinandergereiht vom Kleinen Matterhorn zum Breithorn herüber. Mit einem letzten Blick zum Matterhorn gegenüber kehrten wir zu unseren Rücksäcken zurück und stiegen durch das Sommerskigebiet hinab zur Seilbahnstation Plateau Rosa. Nach kurzer Zeit erreichten wir wieder das Auto, das uns als Nachschub-Depot und Schlafplatz diente.
Auf einem Stadtbummel durch Breuil trafen wir zahlreiche Einheimische und Gäste in zünftigen Bergsteiger-Trachten. Mit Blas-Orchester wurde dort Maria Himmelfahrt gedacht. Zurück am Auto packten wir unsere Rücksäcke für die Besteigung des Matterhorns (wieder 6 schwere Liter Getränke an Bord). Danach genossen wir in Ruhe die letzten Stunden am Fuße dieser gewaltigen Bergpyramide.
Nach kurzer Nacht im Auto starteten wir am 16.08.2016 mit der ersten Seilbahn hinauf bis zur ersten Bergstation Plan Maison (2555m). Von dort ging es im weiten Bogen hinüber auf die westliche Seite des Talkessels immer unterhalb des Matterhorns entlang bis zum Rifugio Abruzzi (2802m). Von dort beginnt dann der eigentliche Aufstieg, zuerst über einige steile Berghänge bis zum Carrel-Kreuz. Danach beginnen leichte Kletterstellen über stark abschüssige felsige Bergrücken. Zielsicher fanden wir den nicht immer klaren Weg. Durch eine enge Felsschlucht kletterten wir hinauf zu weiteren endlosen Bergrücken bis wir schließlich das große Schneefeld unterhalb des Tete du Lion erreichten. Weiter ging es nun in Serpentinen über den steilen Firnhang hinauf, immer darauf achtend, nur nicht in den Abgrund abzurutschen. Wir kamen gut voran, einige absteigende Bergsteiger versicherten uns ideale Verhältnisse am Gipfel. Bei einem kurzen Plausch konnte unser Puls wieder etwas gedrosselt werden. Über brüchiges unwegsames steiles Schuttgelände erreichten wir den Berggürtel unterhalb des Tete du Lion, eine Art kleiner horizontaler Pfad, der uns durch einige Eisrinnen letztendlich zum Col du Lion (3580m) führte. Hier legten wir Klettergurte an, holten unser Seil raus und weiter ging es mit Sicherung über die ersten leichten Kletterstellen. Schnell wurde es jetzt steiler und ausgesetzter. Glücklicherweise ist der letzte Aufstieg zur Carrel-Hütte größtenteils mit dicken Fixseilen gesichert. Über einen ausgesetzten Felspfeiler, die senkrechte Seilerplatte und einen kurzen Kamin erreichten wir erschöpft die bereits überfüllte Carrel-Hütte (3829m). Mit viel Glück ergatterten wir dennoch 2 freie Matratzenlager im unteren Stockwerk. Überall in der Hütte - schlafende Bergsteiger, Berge von Rucksäcken und mufflige Bergschuhe. Die einen kommen, andere gehen. Die Hütte bietet etwa 50 Schlafplätze in einem Raum, anwesend waren über 60, so dass sich einige in der kleinen Küche einquartierten. Die einzige Toilette eher ein Alptraum. Die Hütte ist nicht bewirtet und bietet außer einem Dach über dem Kopf kaum Komfort. Andererseits begrenzen diese Umstände die Anzahl der Bergsteiger hier oben auf der Hütte von selbst. Schnell waren die Rucksäcke für die kommende Nacht gepackt, der Rest in einer Ecke der Hütte verstaut in der Hoffnung, bei Rückkehr alles wieder vorzufinden. Die restliche Zeit wurde vorzugsweise im Schlafsack verbracht. Kurz nachdem die letzten in die Koje krochen, ertönten schon wieder die ersten Weckrufe.
Am 17.08.2016 ging es 1:30Uhr aus den Federn, eine halbe Stunde später standen wir in voller Montur, in warmen Sachen, mit Gurt, Seil und Kletterausrüstung am Einstieg der Route. Diese beginnt gleich mit einer Schlüsselstelle, einem überhängendem Dach. Entschärft durch eine Kette, kann man sich mit viel Kraft hinaufziehen. Oben im Dunkeln begegneten uns völlig entkräftete absteigende Bergsteiger vom Vortag. Das lies nichts Gutes erwarten. Es war kalt, teilweise bewölkt und neblig. Gut gesichert ging es jedoch zielsicher voran. Bereits mehrfach durchstiegen war mir die Route gut bekannt. Über eine heikle Traverse auf einem schmalen Band erreichten wir die erste steile Rinne. Durch das dicke Fixseil konnte diese sicher überwunden werden. Es folgten weitere Traversen und Anstiege im ausgesetzten Gelände. Inzwischen erreichte uns die erste Seilschaft, ein deutscher Bergführer mit Kunde. Schnell gab er uns noch einige Weg-Tipps und schon war er mit seinem Kunden vorbei. Zurück blieben die schnell dunkel werdenden Lichtkegel ihrer Stirnlampen. Kontinuierlich setzten wir unseren Aufstieg fort. Immer wieder wurden wir von kleinen Seilschaften mit Führern überholt, die selbst auf Sicherung verzichteten und dadurch schneller waren. So konnten wir ihnen zielsicher folgen. Nach einem langen Quergang teils auf Firn teils durch ein brüchiges Blockfeld erreichten wir die zweite Kette. Etwa 25m ging es nun senkrecht hinauf zurück auf den Felsgrat. Hier erwartete uns schon ein heftiger Sturm und vereiste Felsplatten. Weiter ging es nun nur noch mit Steigeisen. Langsam wurde es heller, sicher konnten wir den Spuren unserer Vorgänger folgen. Schier endlos war der Aufstieg durch den Lion-Grat hinauf zum Pic Tyndal (4241m), den wir nach Überschreitung zahlreicher Felstürme gegen 12:00 erreichten. Für eine Verschnaufpause war es hier oben definitiv zu ungemütlich. Über den fast waagerechten Grat ging es nun zum letzten gewaltigen Gipfelturm. Zuvor mussten jedoch noch einige tiefe Felsscharten überwunden werden, d.h. abseilen und danach wieder aufsteigen, was viel Zeit kostete. Endlich erreichten wir die letzte Scharte. Weiter ging es über verschneites, vereistes, steiles, ausgesetztes Gelände, immer einen Schritt über den Abgrund. Der Aufstieg ging immer mehr an unsere Substanz. Aber Umkehr so kurz vorm Ziel war keine Option mehr. Nach mühsamer Kletterei erreichten wir endlich die letzten Fixseilsicherungen unterhalb des Gipfels. Diese technisch anstrengende Kletterei kostete noch einmal viel Kraft, konnte dank der Fixpunkte aber gut gesichert und durchstiegen werden. In Wandmitte kletterten wir an einer frei schwingenden Strickleiter empor. Anschließend folgten noch 2 Seillängen bis zum Gipfelgrat. Im Nebel war der Gipfel nicht genau erkennbar, aber außer dem messerscharfen Grat gab es hier keine Alternativen. Glücklich erreichten wir das Gipfelkreuz schossen schnell einige Gipfelfotos und erhaschten einen kurzen Blick in den Abgrund nach Breuil und Zermatt. Kurze Zeit später waren wir wieder in Wolken eingehüllt.
Mit Mühe stiegen wir über den Grat auf die Schweizer Seite des Matterhorns hinüber, rechts und links ging es über 1000m abwärts. Die Möglichkeit, über den Hörnligrat zum über 400m tiefer gelegenen Solvay-Biwak abzusteigen, wurde schnell verworfen. Also wieder zurück über den Grat, am Gipfelkreuz vorbei in die Wand des Gipfelturmes.
Ein endloser Abstieg stand uns nun bevor. Anfangs konnten wir am Gipfelturm noch abseilen, später mussten wir abklettern. Mit einsetzender Dämmerung erreichten wir die verschneite Spitze des Pic Tyndal. Den Rest des Abstieges mussten wir mit unseren Stirnlampen suchen. Den endlosen Grat versuchten wir im Dunkeln durch Abseilen zu überwinden, allerdings war es schwer, die verschneiten Abseilösen und Schlingen zu finden. Die Suche kostete viel Zeit, aber ein Risiko wollten wir im Dunkeln auch nicht eingehen. Unten im Grat sahen wir immer wieder mal die Lichtkegel von Stirnlampen anderer Bergsteiger. Auf dem letzten Stück zur Hütte wurden wir vom Vollmond unterstützt, kurz darauf begann es aber auch zu dämmern. Erschöpft und durchfroren erreichten wir gegen Mitternacht wieder die völlig verlassene und verschlossene Carrel-Hütte. In der schon fortgeschrittenen Nacht angekommen, gönnten wir uns eine viel zu kurze Pause bevor wieder alle Sachen zusammengepackt und die Gurte angeschnallt wurden, um den endlosen Abstieg nach Breuil zu beginnen.
Bis zur Scharte seilten wir uns ab, dann ging es in freier Kletterei die steilen Felshänge hinunter bis zum Rifugio Abruzzi. Das lange Tragen der schweren Bergschuhe hinterließ deutliche Spuren an Sebastians Füßen. Inzwischen wurde jeder Schritt zur Quälerei. Doch noch standen uns knapp 2 Stunden Abstieg nach Breuil über endlose steile kleine Pfade bevor. Endlich, am späten Nachmittag, erreichten wir wohlbehalten das Auto.
Für Pause war jedoch keine Zeit, sofort ging es weiter per Auto runter ins Aosta-Tal und zurück auf den Gr. St. Bernhard, wo Daniel schon auf uns wartete. Er hatte bereits eine kleine Akklimatisationsrunde hinter sich und erwartete uns mit aufgebautem Grill. Zwei Grillwürste und ein Schluck Bier wirkten wie Medizin auf unsere geschundenen Körper. Einige Zeit saßen wir noch am Grillfeuer zusammen, suchten nach Lösungen für die letzte Besteigung des Dent du Geant. Für den kommenden Tag war noch einmal bestes Bergwetter vorhergesagt, danach aber Regen, Schnee und Wind. Noch waren wir aber weit von unserem Ziel entfernt. Trotzdem wollten wir es auf einen Versuch ankommen lassen. Also brachen wir am 19.08.2016 früh bei herrlichem Wetter auf nach Entreves zur neuen Seilbahn Skyway.
Hier geht's zur Bericht des Dent de Géant.
Ich bin froh, nun endlich auch mal das Matterhorn erreicht zu haben, wobei ich den Dent du Geant immer bevorzugen würde. Nun gilt es, neue Kräfte zu sammeln, neue Pläne zu schmieden. Bergziele gibt es ja glücklicherweise genug.
Autor:
Torsten Puschmann
Hier findet ihr den Link zum Main-Echo Zeitungsbericht.
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